Rechtsblog Wann liegt ein Einfühlungsarbeitsverhältnis vor und wann besteht eine Vergütungspflicht?
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Wann liegt ein Einfühlungsarbeitsverhältnis vor und wann besteht eine Vergütungspflicht?

Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses wirft immer wieder Fragen auf, insbesondere im Rahmen der Kennenlernphase. Zwar kann eine Probezeit oder eine Befristung des Arbeitsverhältnisses dem ArbG hinlänglich Gelegenheit zur Prüfung des ArbN eröffnen. Gleichwohl wird mittlerweile dazu übergegangen, eine unentgeltliche Schnupperphase, ein sog. Einfühlungsarbeitsverhältnis, vorzuschalten. Der Beitrag stellt die rechtliche Einordnung und ihre Vergütungspflicht vor.

Das Einfühlungsarbeitsverhältnis

Der folgende Ausgangsfall basiert auf der Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein 17.3.05, 4 Sa 11/05, Abruf-Nr. 053367.

Ausgangsfall

Der Kläger suchte ab dem 1.7.02 eine Vollzeitbeschäftigung. Vorab wurde er zwischen dem 8.6.02 und dem 25.6.02 beim Beklagten beschäftigt. Eine schriftliche Vereinbarung existiert nicht. Der Kläger verlangt Vergütung seiner Arbeitsleistung mit der Begründung, er sei von vornherein weisungsabhängig beschäftigt worden. Einer Überprüfung seiner Befähigung habe es nicht bedurft. Über einen Praktikumstest oder eine Eignungsfeststellung sei nicht gesprochen worden. Vielmehr sollte er sofort mit seiner Arbeit anfangen. Der Beklagte trägt vor, es sei zu einer Vereinbarung über ein kostenloses Praktikum gekommen, welches gegen kein gesetzliches Verbot verstoße.

Nach dem LAG Schleswig-Holstein kann sich ein potenzieller zukünftiger ArbN auf Grundlage der allgemeinen Vertragsfreiheit im Betrieb aufhalten, ohne eine Gegenleistung zu erhalten. Dabei handelt es sich um ein sog. Einfühlungsarbeitsverhältnis (ebenso LAG Hamm LAGE Nr. 2 zu § 611 BGB Probearbeitsverhältnis = DB 89, 1974; LAG Bremen LAGE Nr. 5 zu § 611 BGB Probearbeitsverhältnis = LAG Report 02, 357).

Das Einfühlungsarbeitsverhältnis versteht sich als unbezahlte Kennenlernphase und stellt demnach kein echtes Arbeitsverhältnis, sondern ein loses Rechtsverhältnis eigener Art dar (Preis/Kliemt, Aushilfs- und Probearbeitsverhältnis, 2000, Rn. A 22, LAG Bremen, a.a.O.; LAG Schleswig-Holstein, a.a.O.). Es begründet keine Arbeitspflicht und demnach auch kein Direktionsrecht. Es unterliegt lediglich dem Hausrecht des ArbG.

Sinn und Zweck ist, dem ArbN die Möglichkeit zu eröffnen, sich Eindrücke seines zukünftigen ArbG und des Betriebs zu verschaffen. Der ArbG soll die Gelegenheit zur Beurteilung erhalten, ob der Bewerber in den Betrieb integriert werden kann und die Aufgaben seinen Fähigkeiten entsprechen. Während des Einfühlungsarbeitsverhältnisses werden somit die Voraussetzungen der Zusammenarbeit für ein späteres Arbeitsverhältnis geklärt (Preis/Kliemt, a.a.O., Rn. A 22; Küttner-Bauer, Personalbuch 2005, Arbeitsvertrag, Rn. 4; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 10. Aufl., § 40 I 1).

Die Zulässigkeit von Einfühlungsarbeitsverhältnissen ergibt sich aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit (Preis/Kliemt, a.a.O., Rn. A 24; LAG Hamm LAGE Nr. 2 zu § 611 BGB Probearbeitsverhältnis = DB 89, 1974; LAG Bremen LAGE Nr. 5 zu § 611 BGB Probearbeitsverhältnis = LAG Report 02, 357). Insoweit ist auch der alten Auffassung, Einfühlungsarbeitsverhältnisse seien grundsätzlich unzulässig, nicht zuzustimmen.

Es muss eine unverbindliche Kennenlernphase vorliegen

Auf Grund der dem zukünftigen ArbN verbleibenden Freiheiten kann nicht selbstredend davon ausgegangen werden, der ArbG wolle sich durch eine für ihn günstige Vertragsgestaltung eine kostenlose Arbeitskraft verschaffen (Bertzbach, FA 02, 340). Allerdings bedarf es stets einer konkreten Prüfung, ob es sich tatsächlich nur um eine unverbindliche Kennenlernphase handelt oder aber bereits eine vergütungspflichtige Zusammenarbeit begründet wurde.

Indizien sind die Ausgestaltung der Tätigkeit sowie die den Parteien im Bindungszeitraum auferlegten Pflichten, insbesondere die Ausübung eines Direktionsrechts des ArbG (Preis/Kliemt, a.a.O, Rn. A 22; LAG Schleswig-Holstein 17.3.05, 4 Sa 11/05, Abruf-Nr. 053367).

Checkliste: Abgrenzung zu anderen Vertragsgestaltungen

Das Einfühlungsarbeitsverhältnis ist abzugrenzen von  

Probearbeitsverhältnissen

Das Probearbeitsverhältnis dient dazu, ArbG und ArbN innerhalb einer angemessenen Zeit Klarheit zu verschaffen, ob eine dauerhafte Zusammenarbeit möglich ist. Zwingend vorgeschrieben ist eine Probezeit im Rahmen von Berufsausbildungsverhältnissen. Nach § 13 BBiG hat die Probezeit mindestens einen Monat und höchstens drei Monate zu betragen. Individualrechtlich wird üblicherweise eine Probezeit bis zu sechs Monaten festgelegt. Bei einfacher Tätigkeit wird die Höchstdauer bei drei bis vier Monaten liegen (Küttner-Bauer, a.a.O., Probearbeitsverhältnis, Rn. 3).

Im Unterschied zu einem Einfühlungsarbeitsverhältnis muss der ArbN sämtliche Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis übernehmen. Ihm obliegt damit die Verpflichtung, die vereinbarten Arbeitstätigkeiten innerhalb der festgelegten Arbeitszeiten unter Berücksichtigung des Direktions- und Weisungsrechts des ArbG zu verrichten.

Durch die Zwecksetzung unterscheidet sich das Probearbeitsverhältnis von sog. Anlernarbeitsverhältnissen (z.B. Praktikum oder Volontariat) sowie von Aushilfsarbeitsverhältnissen.

Praktikumsverhältnissen

Praktikanten sind Personen, welche für eine vorübergehende Dauer zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen einer bestimmten beruflichen Tätigkeit und Ausbildung im Rahmen einer Gesamtausbildung nachgehen, die keine systematische Berufsausbildung darstellt, weil diese für die Zulassung zum Studium oder Beruf, zu einer Prüfung oder zu anderen Zwecken benötigt werden (BAG DB 65, 1220; LAG Bremen LAGE Nr. 5 zu § 611 BGB Probearbeitsverhältnis = LAG Report 02, 357; Küttner-Bauer, a.a.O., Praktikant, Rn. 1).

Das Einfühlungsarbeitsverhältnis zielt nicht auf eine bestimmte Gesamtausbildung ab. Auch die kurze zeitliche Dauer eines Einfühlungsarbeitsverhältnisses lässt sich mit der Vereinbarung eines Praktikums nicht in Einklang bringen.

§ 19 BBiG steht dem Abschluss eines Einfühlungsarbeitsverhältnisses nicht entgegen. § 19 BBiG bezieht sich auf Personen, welche eingestellt werden, um berufliche Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen zu erwerben. Das Einfühlungsarbeitsverhältnis soll ein Kennenlernen aber gerade ohne arbeitsvertragliche Bindungen ermöglichen.

Volontärverhältnissen

Unter einem Volontärverhältnis versteht man eine Vertragsbeziehung, innerhalb derer sich der Volontär gegenüber dem ArbG als Ausbildenden zur Leistung von Diensten und dieser sich zur Ausbildung verpflichtet, ohne dass mit der Ausbildung eine vollständig abgeschlossene Fachausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf beabsichtigt wäre (LAG Bremen LAGE Nr. 5 zu § 611 BGB Probearbeitsverhältnis = LAG Report 02, 357; Küttner-Bauer, Praktikant, Rn. 2).

Aushilfsarbeitsverhältnissen

Mit dem Einfühlungsverhältnis darf schließlich kein Aushilfsarbeitsverhältnis umgangen werden.

Zweck eines Aushilfsarbeitsverhältnisses ist, einen nur vorübergehenden Arbeitskräftebedarf zu decken, welcher nicht durch den normalen Betriebsablauf, sondern durch den Ausfall von Stammkräften oder durch einen zeitlich begrenzten zusätzlichen Arbeitsanfall begründet ist (BAG AP 23 zu § 622 BGB = NZA 87, 60).

Während das Probearbeitsverhältnis darauf angelegt ist, den ArbN bei Eignung in ein dauerhaftes Arbeitsverhältnis zu übernehmen, richtet sich das Aushilfsarbeitsverhältnis auf eine zweckbestimmte und vorübergehende Tätigkeit (LAG Düsseldorf DB 67, 690).

Im Gegensatz zum Einfühlungsarbeitsverhältnis wird der ArbN in den Betrieb eingegliedert, unterliegt dem Direktions- und Weisungsrecht und ist zur Erbringung der Arbeitsleistung verpflichtet.

Wichtige Abgrenzungskriterien zu anderen Vertragsgestaltungen

Weitere Abgrenzungskriterien sind 

Dauer der Einfühlungsphase

Um der Gefahr zu begegnen, dass zwingendes Arbeitsrecht umgangen wird, sollen Einfühlungsarbeitsverhältnisse nur für sehr kurze Zeit eingehbar sein. Sie sollen nach Möglichkeit nicht länger als eine Woche dauern (Bertzbach, a.a.O.; ErfK-Preis, 2004, § 611, Rn. 184).

Zeitpunkt der Vergütungsforderung

Wird seitens des ArbN erstmalig nach Scheitern von Vertragsverhandlungen eine Vergütung für die Einfühlungsphase beansprucht, spricht dies dafür, dass zunächst beide Parteien von einem Einfühlungsarbeitsverhältnis ohne Bezahlung ausgegangen sind (LAG Bremen LAGE Nr. 5 zu § 611 BGB Probearbeitsverhältnis = LAG Report 02, 357).

Grundlage der Einarbeitung

Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Düsseldorf (30.6.04, 4 Ca 386/04, Abruf-Nr. 060378) ist auch der Hintergrund der Einfühlungsphase auszuwerten.
Grundlage der Entscheidung des Arbeitsgerichts Düsseldorf war ein ArbN, der nach länger andauernder Arbeitslosigkeit überprüfen sollte, ob er sich den Belastungen des regelmäßigen Alltags gewachsen fühle. Bei der Anstellung eines Berufsanfängers, welcher die Ausbildung kurze Zeit vorher erfolgreich abgeschlossen hat und die erste bezahlte Stelle sucht, wäre dagegen nicht nachvollziehbar, warum er sich damit beschäftigen solle, einen Betrieb anzusehen.

Beanstandung von Arbeitsleistungen

Werden Pünktlichkeit (ArbG Düsseldorf 30.6.04, 4 Ca 386/04, Abruf-Nr. 060378) oder Qualität der Arbeitsleistung (LAG Schleswig-Holstein 17.3.05, 4 Sa 11/05, Abruf-Nr. 053367) gerügt, spricht dies für eine betriebliche Eingliederung und Begründung von Arbeitspflichten, die einer unverbindlichen Kennenlernphase entgegenstehen.

Die Vergütung des Einfühlungsarbeitsverhältnisses

Das Einfühlungsarbeitsverhältnis stellt kein echtes Arbeitsverhältnis dar, sondern ein loses Rechtsverhältnis eigener Art (s.o.). Im Gegensatz zur Vereinbarung eines Arbeitsverhältnisses nach § 612 BGB entsteht daher eine Vergütungspflicht nicht ohne vertragliche Vereinbarung. Dies ist grundsätzlich nicht zu beanstanden, da der ArbN im Rahmen des Einfühlungsarbeitsverhältnisses keine Pflichten, insbesondere keine Arbeitspflicht hat (LAG Hamm, a.a.O.). Etwas anderes soll möglicherweise gelten, wenn in der Einfühlungsphase produktive Leistungen erbracht werden (LAG Hamm, a.a.O.). Dieser Auffassung steht allerdings entgegen, dass es – wie ausgeführt zulässigerweise – an einer entsprechenden Vereinbarung der Vergütungsleistung fehlt. Stattdessen wird in der Einfühlungsphase Unentgeltlichkeit angenommen.

Eine Vergütungspflicht des ArbG besteht daher nach h.M. nur, wenn eine entsprechende ausdrückliche Vereinbarung getroffen wurde. Das gilt auch, wenn der ArbN verwertbare oder nützliche Tätigkeiten verrichtet hat (LAG Bremen, a.a.O; LAG Schleswig-Holstein, a.a.O; Preis/Kliemt, a.a.O, Rn. A 22).

Lösung des Ausgangsfalls: Im Ausgangsfall lagen letztlich die Voraussetzungen des Einfühlungsarbeitsverhältnisses nicht vor. Insbesondere die Eingliederung in den Betrieb und die längere Zeit der Beschäftigung standen dem entgegen.

Checkliste: Begründung von Einfühlungsarbeitsverhältnissen

  • kurze Dauer (1 Woche),
  • Niederlegung des Beschäftigungszwecks „Kennenlernen“,
  • Unentgeltlichkeit,
  • faktische Umsetzung des Beschäftigungszwecks,
  • keine Arbeitsverpflichtung,
  • keine Arbeitszeit,
  • kein Direktions- und Weisungsrecht,
  • keine Leistungsbeanstandung,
  • Recht zur jederzeitigen Beendigung.

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